Im Dezember 1991 wurde bei der Stadt Aachen ein Bürgerantrag zur Einführung einer kostendeckenden Einspeisevergütung für Elektrizität aus Solar- und Windanlagen gestellt. Das Erneuerbare- Energien-Gesetz lag damals noch in weiter Ferne. Der Bürgerantrag wurde unterstützt vom Solarenergie-Förderverein (SFV), vom WIND e. V. sowie von weiteren Gruppierungen.
Vorausgegangen waren intensive Diskussionen über eine möglichst effektive Strategie zur breiten Markteinführung der solaren Energietechniken.
Die einfache Grundidee des Aachener Modells lautete:
Die erneuerbaren Energieträger müssen gleichberechtigter, ja
bevorzugter Bestandteil des Elektrizitätsversorgungssystems werden. Deshalb
sind die Stromerzeugungskosten - im Rahmen der energiewirtschaftlich
üblichen Mischkalkulation - vom Endverbraucher zu tragen. Der Betreiber
einer entsprechenden Elektrizitätserzeugungsanlage muss die Anschaffung und
den Betrieb der Anlage grundsätzlich durch den Stromverkauf, d. h. durch
eine kostendeckende Einspeisevergütung, finanzieren können.
Das Prinzip der kostendeckenden, von allen Stromverbrauchern finanzierten Einspeisevergütung sollte nach dem Willen der Initiatoren eine breite und kontinuierliche, von den sprunghaften Förderprogrammen der öffentlichen Hand unabhängige Markteinführung für die solaren Energietechniken ermöglichen.
Besonderes Aufsehen - und heftigen Widerspruch - erregte das "Aachener Modell" wegen der unerhört hohen Einspeisevergütung von 2 DM/kWh, die für Elektrizität aus Photovoltaik-Anlagen gefordert wurde. Dieser Wert entsprach aber, selbst bei optimistischer Kalkulation, den damaligen Kosten der Solarstrom-Erzeugung.
Auf einstimmige Empfehlung des Umweltausschusses fasste der Rat der Stadt
Aachen am 30. 9. 1992 den Beschluss:
"Auf Empfehlung des Umweltausschusses spricht sich der Rat der Stadt
für eine kostendeckende Vergütung von Solar- und Windstrom aus, die
zunächst auf eine Leistung von je 1000 kW für Solar- und Windstrom
begrenzt sein soll. Er fordert die vom Rat in die Aufsichtsräte der STAWAG,
der ASEAG und der EVA entsandten Vertreter auf, eine Beschlußfassung in
den jeweiligen Aufsichtsräten herbeizuführen, die eine solche Regelung
in energierechtlich und steuerrechtlich zulässiger Weise mit Beginn des
Jahres 1993 vorsieht."
Der Rat der Stadt Aachen wiederholte und präzisierte seine richtungsweisende Ent-scheidung in Beschlüssen vom 2. 6. 1993, vom 22. 6. 1994 und vom 17. 8. 1994. Die eindeutigen Vorgaben und Weisungen trafen jedoch auf den erbitterten und hartnäckigen Widerstand der leitenden Angestellten der städtischen Energieversorgungsunternehmen STAWAG und ASEAG, denen es gelang, die Umsetzung der Ratsbeschlüsse jahrelang zu blockieren. Dabei wurde insbesondere behauptet, dass die entstehenden Zusatzkosten aus tarifrechtlichen Gründen nicht über eine Strompreiserhöhung an die Endverbraucher weitergegeben werden könnten.
Den Verfechtern des Aachener Modells war von Anfang an klar, dass sich eine solche Maßnahme nur dann politisch durchsetzen lässt, wenn die entstehenden Kosten auf die Elektrizitätsverbraucher abgewälzt werden können, d. h. wenn keine merklichen Belastungen für den städtischen Haushalt - etwa durch eine Gewinnreduzierung bei den städtischen Energieunternehmen - entstehen.
Der damalige Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen stand dem Aachener Vorhaben mehr als skeptisch gegenüber (hier ließe sich vieles über die Verflechtung von Politik, Verwaltung und Energiewirtschaft sagen). Dem für die Strompreisaufsicht zuständigen Ministerialbeamten gelang es aber, den hartnäckigen Widerstand seiner Vorgesetzten auszuhebeln, unter anderem dadurch, dass er einen renommierten Energierechtler beauftragte, die Rechtmäßigkeit einer Kostenumlage zu prüfen. In seiner Stellungnahme vom 1. 12. 1993 verwies der Gutachter darauf, dass bei der Strompreisfindung laut Gesetz die Interessen des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung gleichgewichtig neben den übrigen energiewirtschaftlichen Erfordernissen (Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, rationeller und sparsamer Umgang mit Elektrizität) zum Ausdruck kommen müssen.
Nach heftigen internen Diskussionen veröffentlichte das nordrhein- westfälische Wirtschaftsministerium am 1. 6. 1994 (auf den Tag genau 18 Monate nach Vorlage des energierechtlichen Gutachtens) "Grundsätze der Strompreisaufsicht zur Förderung der Stromerzeugung aus unerschöpflichen Energiequellen".
Die "Grundsätze" wurden durch einen weiteren ministeriellen Erlass (vom 10. 1. 1995) ergänzt, in welchem u. a. detaillierte Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung einer kostengerechten Vergütung für Elektrizität aus Solar- und Windanlagen angegeben waren.
Auch die Strompreisaufsichtsbehörden in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erklärten die kostendeckende Vergütung - und die Kostenabwälzung auf die Strompreise - für zulässig.
Nachdem die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt waren, beschloss der Aufsichtsrat der Aachener Energieholding EVA am 1. 3. 1995 Richtlinien für die Förderung der Stromerzeugung aus Sonnenenergie, Windkraft und Biogas. Die Richtlinien wurden anschließend von den Aufsichtsräten der beiden Versorgungsunternehmen STAWAG und ASEAG bekräftigt. Der Rat der Stadt Aachen akzeptierte am 23. 3. 1995 mit einem fünften Beschluss zur kostengerechten Vergütung die Richtlinien mit überwältigender Mehrheit. Seit dem Sommer 1995 wurden in Aachen sowie in Herzogenrath und Würselen (Versorgungsgebiet der damaligen ASEAG Energie GmbH, heute enwor) die beschlossenen erhöhte Einspeisevergütungen gezahlt.
Für Photovoltaik-Strom galt zunächst ein Vergütungssatz von 2 DM/kWh, der sich für Anlagen, für die ein Investitionszuschuss aus Landesmitteln gewährt wurde, auf ca. 1,10-1,20 DM/kWh reduzierte.
Das Förderprogramm zeigte die erhofften Wirkungen. Das Marktvolumen für Photovoltaik-Anlagen vervielfachte sich, und zum ersten Mal griffen wirtschaftlich denkende und handelnde Investoren wesentlich in das Marktgeschehen ein. Die Preise für Solaranlagen, und damit die Stromerzeugungskosten, sanken aufgrund des verstärkten Wettbewerbs merklich. Konsequenterweise wurden die Vergütungssätze für neu errichtete Solaranlagen in den Folgejahren reduziert.
Das Aachener Modell wurde von über vierzig Kommunen übernommen und mündete im "Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien", welches am 29. 3. 2000 in Kraft trat.
© HK, www.Aachen-hat-Energie.de, 2011
Eine ausführlichere Darstellung gibt es beim Solarenergie-Förderverein.